Prolog

 

Bis zu meiner Pensionierung habe ich einen technischen Beruf ausgeübt, bei dem es auf die Anwendung physikalischer Gesetze bei der Verifizierung von Anwendungen mit entsprechender Genauigkeit ankam. Entweder war das Ergebnis richtig oder falsch. Ein Zwischending gab es nicht. Gefühle und Stimmungen spielten dabei keine Rolle. Auch nach meinem 65. Lebensjahr habe ich keine Neigung verspürt, ein künstlerisches Hobby auszuüben. Vielmehr verspürte ich Genugtuung, wenn ich ein komplexes Problem durch ein eigens hierfür entworfenes Programm mit dem Hintergrund strenger mathematischer Grundlagen lösen konnte.

Mein Desinteresse an musikalischer Fortbildung mochte wohl auch daher kommen, dass in meiner Grundschule die Lehrkräfte, die zum großen Teil noch aus der unseligen Zeit stammten, keine Ausbildung in der Vermittlung von schönen Künsten hatten. Und so fehlte uns Kindern, die ausnahmslos aus Arbeiterfamilien stammten, die Motivation, sich mit Musik zu beschäftigen. In dieser Beziehung war das Kind schon zu damaliger Zeit sozusagen „in den Brunnen gefallen“. Auch auf den weiterführenden Schulen habe ich um dieses Thema – so weit ich konnte – immer einen großen Bogen gezogen.

 

Mit diesem Manko also, das ich bis dahin nicht als solches empfand, hatte ich Ende der achtziger Jahre die Bekanntschaft mit der Chinesin Du Wei gemacht, die in Peking ein Musikstudium absolviert hatte.

Trotzdem sah ich es viele Jahre danach als nicht notwendig an, mich mit Noten zu beschäftigen oder gar Klavierspielen zu lernen.

Nun war es nicht etwa so, dass ich mich für Musik überhaupt nicht interessierte. Durchaus empfand ich den Wohlklang klassischer Musik als erhebend und hatte im Laufe der Zeit eine umfangreiche CD-Sammlung klassischer Komponisten angelegt. Durch wiederholtes anhören von Stücken ausgewählter Komponisten vermeinte ich – wenn auch als Laie – eine gewisse Methodik, die jedem Komponist zu eigen ist, heraushören zu können, wie zum Beispiel Wiederholungen, Überleitungen oder Variationen.

Dieses – zumindest rudimentäre – Wissen kam uns beiden, Du Wei und mir, während ihrer intensiven Schaffensphase ab 2005 zugute. Denn es kam oft vor, dass sie mir ein eben komponiertes Stück vorspielte und um meine Meinung bat. So konnte ich ihr in vielen Fällen einen Rat geben, der zum besseren Wohlklang ihrer Kompositionen geführt haben mochte. In den darauffolgenden Jahren äußerte Du Wei immer wieder den Wunsch, ihre Kompositionen aus dem Radio gespielt zu hören. Ich gab ihr den Rat, ihre Notationen in ein professionelles Notensatzprogramm zu übertragen, weil heutzutage keine handschriftlichen Notationen mehr veröffentlicht würden. Aber mit immer fortschreitenderer Erkrankung, für die es letztlich keine Heilung mehr gab, geriet Du Wei immer mehr in Panik und war nur noch darauf bedacht, ihren Kompositionsplan zu Ende zu bringen. Trotzdem versprach ich ihr, ihre Kompositionen zu veröffentlichen.

Dieses Versprechen wiederholte ich ihr gegenüber auch an ihrem Sterbebett.

 

Nach dem Tode von Du Wei Ende 2014 sichtete ich ihr musikalisches Vermächtnis. Es bestand aus tausenden von Seiten handgeschriebener Notation. Nun sah ich es als unbedingte Pflicht an, ihren Opus in ein Notensatzprogramm übertragen zu müssen, um ihre Kompositionen veröffentlichen zu können. Angesichts der Unmenge an handgeschriebenen Notenblättern war ich schier erschlagen. Ich kam mir vor wie ein Tourist in Straßenkleidung, dem es aufgegeben war, den Mount Everest zu besteigen.

Nach einigen Monaten, in denen ich den Nachlass von Du Wei regelte, vermeinte ich eines Tages spät in der Nacht, kurz vor dem Schlafengehen, die innere, mir so vertraute Altstimme von Du Wei zu hören. Sie sagte: „Mitchi, wann fängst du endlich an?“

Mit Unruhe im Herzen kaufte ich gleich am nächsten Tag ein Notensatzprogramm im Internet.

Und getreu nach dem alten chinesischen Sprichwort: „Mit dem ersten Schritt bist du auf dem Weg zum Ziel“ oder so ähnlich, setzte ich mich hin und begann, die ersten handgeschriebenen Noten in das Notensatzprogramm zu übertragen.

Mir war wohl bewusst, wie lange dieses Unterfangen dauern könnte. Und so saß ich Abend für Abend bis spät in der Nacht am Computer, vergleichbar mit der Zeit, in der ich noch bis vor kurzem am Sterbebett von Du Wei gewacht hatte und übertrug Note für Note in das Notensatz-Programm. Unbekümmert der Tatsache, welch riesiges Pensum da zu bewältigen war, „fuchste“ ich mich allmählich in die Welt der Komposition ein. Dabei kam mir zugute, dass ich zu jener Zeit ein recht feines differenzierendes Gehör, ein Feingefühl für Harmonie und Wohlklang hatte und letzten Endes auch berufsbedingt gewohnt war, mit exakter Genauigkeit zu arbeiten und mich wiederholter Selbstkontrolle zu unterziehen. Im Laufe der Zeit waren mir Begriffe wie „Akkord“, „Triole“, „Nonole“, „Tonart“, „crescendo“, „legato “, „Dynamik“ oder „Halbtonkorrektur“, um nur einige Beispiele zu nennen, geläufig geworden. Auch musste ich die Kompositionen an den Tonumfang der zu spielenden Instrumente anpassen und weitere Feinheiten berücksichtigen.

Alles in allem hatte ich in den folgenden Jahren so viel über Musik bzw. Musiktheorie, Harmonik, Tempo usw. gelernt, wie ich es in früheren Jahren nie vermocht hatte, mir vorzustellen.

Endlich, Mitte 2021, hatte ich die letzte Korrektur an der letzten Komposition vorgenommen.

Ich hatte nach den Sternen gegriffen … und sie letztlich erreicht!

Leider waren meine bisherigen Bemühungen, die Kompositionen durch ein Orchester spielen zu lassen, nicht von Erfolg gekrönt. Vielleicht habe ich auch mit einigen namhaften Klangkörpern zu hoch gegriffen. Überdies erkrankte ich nach der letzten Coronaimpfung sehr schwer, sodass ich erst Ende 2024 dazu gekommen war, diese Webseite zu entwerfen. Zumindest mit der Veröffentlichung von Du Wei´s Kompositionen bin ich glücklich, mein damaliges Versprechen Du Wei gegenüber eingehalten zu haben.

 

Berlin, im Januar 2025

 

Michael Brockmann

 

Überblick in Kurzform

 

Die deutsch-chinesische Komponistin Du Wei kam im Frühjahr 1988 nach Berlin. Hier erweiterte sie ihr Wissen über Komposition und Klavierspiel an der UdK (damals noch HdK). Leider musste sie aus Krank-heitsgründen ihr Studium nach kurzer Zeit aufgeben. Danach setzte sie ihr Studium autodidaktisch fort. Du Wei bekam von ihren Eltern Fachliteratur über Komposition, Musiktheorie, Musikgeschichte und Kompositionsbeispiele zugesandt und vervollkommnete ihr Wissen dadurch wesentlich. Im Laufe der Zeit hatte sie eine umfangreiche Bibliothek hierüber zusammengestellt.

In ihren Kompositionen vereinte sie Komponenten der europäischen Neoromantik mit Elementen der alten chinesischen Musik. Sie verarbeitete in ihnen melancholische Eindrücke aus ihrer Vergangenheit. Manchmal wechselte sie in einem Stück die Tonart,  um die Dramatik zu erhöhen. Einige wenige Kompositionen sind auch atonal. Ihre Kompositionen sind durchweg eingängig anzuhören. Man könnte sie auch als Tondichtungen bezeichnen. Wenn man einiges über den Hintergrund ihrer Werke kennt, so breiten sich die Tonfolgen wie ein Gemälde in der Vorstellung des Zuhörers aus. Nicht zuletzt deswegen

besteht die vorliegende Website aus den Beschreibungen ihrer Kompositionen. Aus Gründen des großen Umfangs können die Kompositionen auch nicht in voller Länge als MP3 Dateien vorgestellt werden. Das gleiche gilt für Ihre Partituren. Bei berechtigtem Interesse können diese jedoch dem Interessierten zugesandt werden  (Kontakt: Impressum).

Leider konnten die Sinfonien 1, 2 und 7 nicht rekonstruiert werden. Sie müssen daher als verschollen gelten.

Du Wei war künstlerisch vielseitig begabt.  So fertigte sie zahlreiche Gemälde, die in vier Ausstellungen gezeigt wurden.  Leider stehen die Originale der meisten Gemälde nicht mehr zur Verfügung, sodass nur noch Fotos von ihnen existieren.  Auch diese können bei berechtigtem Interesse dem Interessierten zugesandt werden (Kontakt: Impressum).

 

Du Wei starb leider sehr früh an einer Krebserkrankung kurz vor ihrem 55. Geburtstag Ende 2014.

Die vorliegende Website soll in erster Linie dem Angedenken an Du Wei gewidmet sein. 

 

Technischer Hinweis

Empfohlenes Anwendersystem: Hardware: mindestens Intel Core i7-2,5 GHz-RAM 16 GB oder höherwertig, Downloadgeschwindigkeit: >= 50 MB bis 1GB,

System: WIN 11.

Gelegentliche Knackgeräusche (>= 3 ms <=50 ms) oder andere Störungen (Unterbrechungen >= 100 ms <=300 ms) bei der Wiedergabe der Hörproben sind nicht Website-bedingt, sondern  auf  „unsaubere“ Systemsoftware der Anwender zurückzuführen (Cookies, Malware). Es wird daher dringend empfohlen,  Säuberungssoftware wie zum Beispiel „Advanced System Care“ oder wesentlich bessere Reinigungsprogramme anzuwenden.